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Sind Placebos und Nocebos in der Schmerztherapie nutzbar?

Beim Placebo-Effekt führt allein der Glaube an den Nutzen einer Therapie zu einer Verbesserung der Gesundheit. Lässt sich das auch therapeutisch nutzen? 

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Unsere Erwartungshaltung hat einen grossen Einfluss darauf, wie wir die Dinge erleben. 
Während der Placebo-Effekt Schmerzen und andere Beschwerden allein durch die Kraft des Glaubens zu lindern vermag, führt beim Nocebo-Effekt der blosse Glauben nur zu grösserem Leid. So kann bei Medikamenten etwa bereits die Erwartungshaltung, Nebenwirkungen zu entwickeln, dazu führen, dass tatsächlich welche auftreten. Sie lesen den Beipackzettel des Medikaments, das Sie gerade genommen haben, und schon spüren Sie sie: Die Bauchschmerzen, die bei etwa 10 Prozent der Personen als Nebenwirkung auftreten. Doch hätten Sie die Beschwerden auch, wenn Sie die Information nicht gelesen hätten?

Die Einstellung macht’s

Sowohl bei Placebo- als auch bei Nocebo-Effekten handelt es sich um Veränderungen des Gesundheitszustandes, die allein durch die Erwartungshaltung verursacht werden. Bei Placebos sind diese Veränderungen positiv, bei seinem Gegenspieler sind es unerwünschte Wirkungen. Placebos werden eingesetzt, um die Wirksamkeit von Medikamenten zu untersuchen. Treten Effekte nur in der Gruppe auf, die den tatsächlichen Wirkstoff bekommen hat, lässt sich ausschliessen, dass es sich um Placebo-Effekte handelt. Treten andererseits in der Kontrollgruppe Nebenwirkungen des Medikaments auf, ist das ein Beispiel des Nocebo-Effektes.

Suizidversuch mit Placebo

Dass diese Effekte aber durchaus echte, physische Konsequenzen haben können, zeigt etwa das Fallbeispiel eines Suizidversuchs: Ein 26-jähriger Student, der zuvor an einer Medikamentenstudie teilgenommen hatte, nahm 29 Placebo-Tabletten ein in dem Glauben, sich mit einer Überdosis Antidepressiva das Leben zu nehmen. Er musste in ärztliche Behandlung, wo sich sein Zustand erst wieder stabilisierte, als er von dem wahren Inhalt der Tabletten erfuhr.
Placebo- und Noceboeffekt zeigen sich im Gehirn unterschiedlich
Eine Gruppe um Junjun Fun von der South China Normal University in Guanghzhou analysierte 52 Studien mit insgesamt 1178 Versuchspersonen. In allen Untersuchungen wurde einer der beiden Effekte experimentell hervorgerufen, während die Probanden im Hirnscanner lagen. Das Team berechnete, in welchen Hirnregionen während der Versuche über alle Studien hinweg die grösste Aktivität auftrat. Die Ergebnisse verglich es anschliessend mit einer Datenbank, die zehntausende Hirnscans umfasste, um herauszufinden, zu welchen Netzwerken die aktivierten Areale gehören. Dabei zeigte sich, dass der Placeboeffekt das Belohnungsnetzwerk im Gehirn aktivierte. Beim Noceboeffekt regte sich hingegen vor allem das Aversionsnetzwerk, welches bei widrigen Ereignissen wie zum Beispiel Schmerzerfahrungen aktiv wird.

Placebo-Medikamente als Therapie?

Placebo- und Nocebo-Effekte besser zu verstehen, ist nicht nur für die Forschung relevant. Zurzeit dürfen Placebos als Medikamente nur mit dem Einverständnis der Patienten eingesetzt werden, wodurch jedoch ihre Wirksamkeit stark verringert wird. Allerdings sprechen sich viele Mediziner für die Gabe der Nicht-Wirkstoffe aus, wenn zum Beispiel die dauerhafte Verabreichung eines Schmerzmittels zu Überdosierung führen würde.

Hirnstimulation beeinflusst Placebo-Effekt

Elektrostimulation des Gehirns kann erwünschte Placebo-Effekte verstärken und unerwünschte Nocebo-Effekte abschwächen, wie nun eine weitere Studie belegt. Demnach beeinflusst die gezielte Stimulation von Teilen des Stirnhirns neuronale Verknüpfungen, die offenbar massgeblich für den Placebo- und Nocebo-Effekt sind. Das könnte sich beispielsweise in der Schmerztherapie nutzen lassen.
Placebo- und Nocebo-Effekt bei der Schmerzwahrnehmung
Auf vorhergehende Studien aufbauend stimulierte das Team um Yiheng Tu von der Harvard Medical School in Massachusetts bei ihren Probanden diese im Stirnbereich liegende Hirnregion mit sogenannter transkranieller Gleichstromstimulation. Dabei wird mittels Elektroden eine elektrische Spannung von aussen an bestimmten Punkten auf der Kopfhaut angelegt. Dadurch entsteht im Inneren des Kopfes ein elektrisches Feld, das je nach Polung – anodisch oder kathodisch – aktivierend oder hemmend auf die Hirnfunktionen wirken kann.

Manipulierte Erwartungen

Vor der Hirnstimulation schufen die Forscher zunächst bei ihren Probanden die Voraussetzungen für einen Placebo- beziehungsweise Nocebo-Effekt. Dafür trugen sie ihnen drei Salben an verschiedenen Stellen des Unterarms auf und erklärten, eine der Salben enthalte den schmerzlindernden Wirkstoff Lidocain, eine die schmerzfördernde Substanz Capsaicin und eine keinen Wirkstoff. In Wirklichkeit handelte es sich bei allen Salben um das gleiche wirkstofffreie Präparat.
Damit die Probanden stärker an die Wirkung der Salben glaubten, fügten die Forscher ihnen nun unterschiedlich starke Schmerzreize zu: Leichte Schmerzreize an Stellen mit der angeblichen Lidocain-Salbe, mittlere Schmerzreize an Stellen mit der neutralen Salbe und stärkere Schmerzreize an Stellen mit der angeblichen Capsaicin-Salbe.
Nun teilten die Forscher ihre 81 Probanden in drei Gruppen: Zwei Gruppen erhielten an drei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils 20 Minuten Hirnstimulation, je nach Gruppe hemmend oder anregend. Die dritte Gruppe diente als Vergleich und erhielt nur eine Scheinstimulation. Vor, während und nach der Stimulation zeichneten die Forscher die Hirnaktivität der Probanden mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) auf. Am dritten Tag wiederholten die Forscher nach der Hirnstimulation das Experiment mit den Salben. Dieses Mal allerdings waren alle Schmerzreize gleich stark.

Placebo-Effekt verstärkt

Das Ergebnis: Alle Probanden nahmen die Schmerzen an Stellen mit der angeblichen Capsaicin-Salbe am stärksten wahr, an Stellen mit der angeblichen Lidocain-Salbe am schwächsten. Die Erwartung einer Schmerzlinderung oder -steigerung führte also durch den Placebo- und Nocebo-Effekt dazu, dass sie tatsächlich eintrat.
Doch wie stark die jeweiligen Effekte ausgeprägt waren, hing davon ab, ob und welche Art von Hirnstimulation die Probanden zuvor erhalten hatten. Beide Gruppen, die echte Hirnstimulation erhalten hatten, zeigten einen stärkeren Placebo- und einen schwächeren Nocebo-Effekt als die Kontrollgruppe. Dadurch verstärkte sich die positive Wirkung der angeblichen Lidocain-Salbe bei ihnen, die negative Wirkung der angeblichen Capsaicin-Salbe verringerte sich. Auf die generelle Schmerzwahrnehmung hatte die Hirnstimulation dagegen keinen Einfluss: Das Schmerzempfinden an Stellen mit der neutralen Salbe blieb gleich.

Wirkung abhängig von der Polung der Stimulation

Das Ausmass der Stimulationswirkung hing dabei von der Art des angelegten elektrischen Felds ab: Bei der Gruppe mit kathodischer Stimulation des Stirnhirns war der Placebo-Effekt besonders deutlich verstärkt, bei der anodischen Gruppe der Nocebo-Effekt besonders deutlich abgeschwächt. Aus ihren fMRT-Daten schliessen die Forscher, dass sich die Art der Stimulation auf die Verknüpfung bestimmter Hirnregionen auswirkt.
„In der kathodischen Gruppe fanden wir eine erhöhte Konnektivität zwischen dem rechten dorsolateralen präfrontalen Cortex und dem ventromedialen präfrontalen Cortex, wenn schmerzhafte Stimuli an Stellen mit Lidocain-Creme appliziert wurden“, berichten die Forscher. In der anodischen Gruppe dagegen war die Interaktion mit der Insula abgeschwächt, wenn Schmerzreize an den Stellen mit Capsaicin-Creme gesetzt wurden. Beide beteiligten Hirnregionen werden mit der Verarbeitung von Emotionen und der Selbstwahrnehmung in Verbindung gebracht.

Für die Schmerztherapie nutzbar

„Das Potenzial, gesundheitsfördernde Placebo-Effekte zu verstärken und/oder behandlungsstörende Nocebo-Effekte zu vermindern, kann klinische Bedeutung haben“, schreiben die Autoren der Studie. Weitere Forschungen seien notwendig, um weiter auszuloten, inwieweit sich die Erkenntnisse in der Behandlung von Patienten oder bei Medikamentenstudien anwenden lassen.

Referenzen
• Proceedings of the National Academy of Sciences, 2021
• Healthnewsnet.de Mai 2021

Bild: AdobeStock/realone952

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