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Achtung, dieser Text enthält Glutamat! 

Glutamat hat einen miserablen Ruf – zu Unrecht! Der Geschmacksverstärker steckt nicht nur in Fertigprodukten, sondern natürlicherweise auch in Tomaten, Parmesan und Sojasauce. Nach einer kulinarischen Hexenjagd ist der Geschmacksverstärker heute wissenschaftlich rehabilitiert.  

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Achtung! Wenn Sie Glutamat nicht vertragen, dann sollten Sie jetzt sofort handeln. Gehen Sie in Ihre Küche und kontrollieren Sie Kühlschrank und Regale. Befinden sich dort Tomaten, Zwiebeln oder Knoblauch? Gruyère oder Parmesan? Steht eine Flasche Sojasauce im Schrank? Dann nehmen Sie sofort alles raus und werfen Sie es in den Müll! Ach ja, und den teuren, luftgetrockneten Schinken können Sie auch gleich entsorgen.

Klingt absurd? Ist es auch. Glutamat ist nämlich ein natürlicher Bestandteil vieler Lebensmittel und begleitet uns Menschen seit sie Nahrungsmittel konsumieren – also seit immer. Besonders reichlich kommt es in frischem Gemüse, Pilzen und fermentierten Produkten wie Käse oder Tofu vor. Selbst Fleisch und Fisch enthalten kleinere Mengen. Doch wie wurde aus diesem alltäglichen Molekül ein vermeintlicher Bösewicht?

Umami: Der fünfte Geschmack

Glutamat ist das Anion der Glutaminsäure, einer Aminosäure, die in allen Proteinen vorkommt. Unser Körper produziert sie selbst und nutzt sie für den Aufbau von Proteinen sowie als Vorstufe für andere Aminosäuren.

Der japanische Chemiker Kikunae Ikeda isolierte 1908 Glutamat aus Algen und nannte den dazugehörigen Geschmack «umami». Dieser beschreibt die herzhaft-deftige Note, die wir aus Rinderbrühe, Pilzfond oder Parmesan kennen. Als fünfte Grundgeschmacksrichtung neben süss, sauer, salzig und bitter wurde umami damals erkannt – die entsprechenden Rezeptoren auf der Zunge konnten jedoch erst im Jahr 2000 wissenschaftlich nachgewiesen werden.

«Chinarestaurant-Syndrom»: Ein Mythos entsteht

Die Verteufelung von Glutamat begann 1968 mit einem Leserbrief im «New England Journal of Medicine». Ein gewisser Robert Ho Man Kwok berichtete von Symptomen wie Taubheit im Nacken und Herzklopfen nach dem Besuch chinesischer Restaurants. Er vermutete Natriumglutamat als Ursache und prägte den Begriff «Chinarestaurant-Syndrom».

Was viele nicht wissen: Es handelte sich um einen Leserbrief, keine wissenschaftliche Studie. Dennoch entfachte der Brief eine hitzige Diskussion unter Ärzten – einige machten sich über die Idee lustig, andere suchten fieberhaft nach Beweisen. Die «New York Times» griff das Thema auf, und plötzlich schien jeder vom Syndrom betroffen zu sein.

Wissenschaftliche Fakten vs. Vorurteile

Trotz zahlreicher Studien konnte bis heute kein Zusammenhang zwischen Glutamat und gesundheitlichen Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Asthma nachgewiesen werden. Tatsächlich nehmen wir den Grossteil unseres täglichen Glutamats aus natürlichen Lebensmitteln auf – zwischen 3,6 und 10,8 Gramm pro Tag durch Proteine sowie etwa ein Gramm freies Glutamat aus Gemüse oder Käse. Der Anteil von zugesetztem Geschmacksverstärker liegt bei lediglich 0,3 bis 0,5 Gramm täglich.

Im Magen-Darm-Trakt wird Glutamat vollständig abgebaut. Die Panik vor dem Molekül entbehrt also jeder wissenschaftlichen Grundlage.

Kulinarische Superkraft: Achtfacher Geschmack

Glutamat hat eine besondere Fähigkeit: In Kombination mit Ribonukleotiden (etwa aus Fleisch) verstärkt sich der Umami-Geschmack um das Achtfache! Diese Synergie macht sich bemerkbar in Gerichten wie Zwiebelsuppe mit Rinderbrühe oder Brokkoli mit Parmesan – klassische Beispiele für kulinarischen Genuss durch natürliche Geschmacksverstärkung.

In Asien gehört Glutamat selbstverständlich zur Küche – sei es in Form von Algenextrakt oder Sojasauce. In westlichen Ländern hingegen steht es oft unter Verdacht, obwohl wir es unbewusst durch Maggi-Würze oder Brühwürfel konsumieren. Der Forscher Ian Mosby bezeichnete das «Chinarestaurant-Syndrom» 2009 als soziales Phänomen mit rassistischen Untertönen: Die Angst vor fremder Küche manifestierte sich in gesundheitlichen Bedenken.

Ein unerwarteter Gesundheitshelfer

Glutamat könnte sogar gesundheitsfördernd sein: Ältere Menschen verlieren oft das Geschmacksempfinden für Salz und neigen zum übermässigen Nachsalzen – mit negativen Folgen für das Herz-Kreislauf-System. Studien zeigen jedoch, dass Speisen mit Kalziumglutamat weniger stark nachgesalzen werden und dennoch als schmackhafter empfunden werden.

Fazit: Zeit für Versöhnung

Die Geschichte des Glutamats zeigt eindrücklich, wie ein harmloser Leserbrief jahrzehntelange Vorurteile schüren kann. Wissenschaftlich ist längst klar: Glutamat ist weder schädlich noch gefährlich – im Gegenteil! Unsere Umami-Rezeptoren sind darauf ausgelegt, diesen Geschmack zu erkennen und zu geniessen.

Also räumen Sie Ihre Küche wieder ein – vielleicht sogar mit einem Päckchen Glutamat zum Experimentieren? – Guten Appetit!

Lesen Sie auch unseren Beitrag: Glutamat und Histamin: eine problematische Kombi? 

Der Beitrag wurde adaptiert nach
Verena Tang. Achtung, dieser Text enthält Glutamat! 

Referenzen
1. Jinap S, Hajeb P. Glutamate. Its applications in food and contribution to health. Appetite. 2010 Aug;55(1):1-10. doi: 10.1016/j.appet.2010.05.002. Epub 2010 May 12. PMID: 20470841.
2. Anca Zanfirescu et al A Review of the Alleged Health Hazards of Monosodium Glutamate
Comprehensive Reviews in Food Science and Food Safety Volume18, Issue4 July 2019Pages 1111-1134 
3. Ian Mosby, ‘That Won-Ton Soup Headache’: The Chinese Restaurant Syndrome, MSG and the Making of American Food, 1968–1980, Social History of Medicine, Volume 22, Issue 1, April 2009, Pages 133–151
4. Beyreuther, K., Biesalski, H., Fernstrom, J. et al. Consensus meeting: monosodium glutamate – an update. Eur J Clin Nutr 61, 304–313 (2007). 
5.-Chaudhari, N., Landin, A. & Roper, S. A metabotropic glutamate receptor variant functions as a taste receptor . Nat Neurosci 3, 113–119 (2000). 
6. Shizuko Yamaguchi The Synergistic Taste Effect of Monosodium Glutamate and Disodium 5′-Inosinate, SHIZUKO YAMAGUCHI journal of food science
Volume32, Issue4 July 1967 Pages 473-478
7. Chinese-Restaurant Syndrome Published April 4, 1968N Engl J Med 1968;278:796 DOI: 10.1056/NEJM196804042781419 VOL. 278 NO.

Bild: Adobe Stock/stokkete

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