Sport bei Migräne – Auslöser oder Therapie?
Sport verschlimmert Migräne, steht sogar in der offiziellen Definition. Trotzdem empfehlen Ärzte Bewegung zur Vorbeugung. Wie passt das zusammen? Ein Blick auf die Forschung zeigt: Beides stimmt – es kommt auf die Art und den Zeitpunkt der Bewegung an.

Wenige Dinge sind so verwirrend wie die Beziehung zwischen Sport und Migräne. Die Internationale Kopfschmerzgesellschaft (IHS) definiert Migräne unter anderem als «Verschlimmerung durch körperliche Aktivität».
Trotzdem wird Migräne-Patienten empfohlen, Bewegung in ihren Behandlungsplan aufzunehmen. Warum? Viele Betroffene vermeiden Sport, um «keinen Schmerz zu provozieren» – es tut einfach weh.
Warum kann Bewegung Migräne auslösen oder verschlimmern?
Es gibt keine medizinisch anerkannte physiologische Erklärung, obwohl einige mögliche Mechanismen vorgeschlagen wurden.
Zwei Hypothesen basieren auf zwei verschiedenen Neuropeptiden: Hypocretin (auch Orexin genannt) und CGRP.
Hypocretin wird vom Hypothalamus produziert und reguliert Schlaf- und Erregungsmuster. Es ist vermutlich an Symptomen der Vorwarnphase beteiligt, wie Gähnen, Müdigkeit und Heisshunger. Sport beeinflusst vermutlich diesen Signalweg.1
Bewegung kann auch den CGRP-Spiegel ansteigen lassen. CGRP spielt bekanntlich eine Rolle bei Migräne. Keine dieser beiden Theorien wurde jedoch umfassend untersucht.
Ein weiterer Erklärungsansatz für die akuten Schmerzen bei Bewegung während der Migräne: Die Nervenafferenzen des Trigeminusnervs, die die Gefässstrukturen in den Hirnhäuten (die Membran, die das Gehirn umschliesst) umgeben, werden während einer Attacke aktiviert. Sie setzen entzündungsfördernde Substanzen frei. Pulsierende Empfindungen, die normalerweise nicht gespürt würden, werden plötzlich als schmerzhaft im Kopf empfunden. Wer sich dann bewegt und die Herzfrequenz erhöht, verschlimmert dies noch.1
Warum kann Bewegung bei Migräne helfen?
Kommen wir zur Kehrseite: Warum kann sich jemand mit Migräne durch Sport besser fühlen? Wichtig: Wir sprechen hier von Sport als Vorbeugung – nicht von Bewegung während einer akuten Attacke.
Der Spiegel von Beta-Endorphin (ein körpereigenes Opioid) ist bei Migräne-Patienten niedriger als bei Menschen ohne Migräne.1 Im peripheren Nervensystem verringert Beta-Endorphin die Übertragung in den Schmerzbahnen. Im zentralen Nervensystem ist es Teil einer Bahn, die mit Freude verbunden ist. Beta-Endorphin steigt durch niederschwelliges, langes Training (50 Minuten) oder hochintensives Training, das die anaerobe Schwelle überschreitet.1
Bei Migräne-Patienten ist zudem das Endocannabinoid-Belohnungssystem gestört. Die Konzentrationen des Endocannabinoid-Liganden Anandamid (AEA, vermutlich verantwortlich für das «Hochgefühl des Läufers») sind niedriger als bei Kontrollpersonen. Dies senkt vermutlich die Schmerzschwelle und trägt so zur Migräne und ihrer Chronifizierung bei. Die AEA-Spiegel steigen nach körperlicher Betätigung an.1
Die Forschung auf diesem Gebiet ist begrenzt. Eine kürzlich durchgeführte Literaturrecherche ergab jedoch: Strenges aerobes Training allein kann die Migränehäufigkeit, -intensität und -dauer signifikant verringern. Besonders wirkungsvoll scheint dabei hohe Trainingsintensität zu sein.2
Yoga als sanftere Alternative
Nicht jeder kann oder möchte hochintensiv trainieren. Viele Migräne-Patienten schwören auf Yoga – besonders diejenigen, denen Aerobic oder belastungsintensiver Sport schwerfällt.
Eine kürzlich durchgeführte klinische Studie (die CONTAIN-Studie) untersuchte, ob Yoga als Zusatztherapie bei episodischer Migräne hilft. Das Ergebnis: Die Patientengruppe, die zusätzlich zur medikamentösen Therapie Yoga praktizierte, erlebte eine stärkere Verbesserung der Häufigkeit und Intensität der Kopfschmerzen und benötigte weniger Akutmedikamente.3
Wie findet man den richtigen Sport?
Menschen mit Migräne sind sehr unterschiedlich – ebenso wie die Arten von Bewegung, die sie ausführen können und die ihnen helfen. Manche können nicht direkt mit Yoga starten, weil der Einsatz des Oberkörpers eine Migräne auslöst. Viele beginnen mit Spaziergängen oder Übungen im Schwimmbad. Andere brauchen lange, anstrengende Trainingseinheiten, um Linderung zu spüren.
Bewegung hilft zudem bei Begleiterscheinungen der Migräne wie Schlaflosigkeit, Depression und Angstzustände.1 Wer nicht sofort Verbesserungen bei Schmerzen oder Anfallshäufigkeit bemerkt, sollte auf diese anderen Symptome achten.
Der erste Schritt besteht darin, herauszufinden, welche Bewegungsformen möglich sind, ohne die Symptome zu verschlimmern. Der zweite Schritt besteht darin, diese Bewegung zur Migränevorbeugung und zur Verbesserung der allgemeinen Gesundheit einzusetzen.
Quellen:
1 Amin FM et al. The association between migraine and physical exercise. J Headache Pain. 2018 Sep 10;19(1):83.
2 Barber M, Pace A. Exercise and migraine prevention: a review of the literature. Curr Pain Headache Rep. 2020 Jun 11;24(8):39.
3 Kumar A et al. Effect of yoga as add-on therapy in migraine (CONTAIN): A randomized clinical trial. Neurology. 2020 May 26;94(21).
In Anlehnung an Aussagen aus einem Podcast von Dr. L Weitzel, Autor von Kinder-Migränegeschichte «Super Zoe the Migraine Hero» (in Englisch).
Bild: Adobe Stock/Merpics
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